„Man merkt gar nicht, dass du blind bist.“ Diese unbedachte oder vielleicht sogar als Kompliment gemeinte Aussage hat mich nachdenklich gemacht. Ich frage mich: Und was wäre, wenn man es merkt? Was macht das mit demjenigen? Und was sagt eine solche Äußerung über den Umgang mit beeinträchtigten Menschen aus?
KKürzlich habe ich jemanden im Rahmen einer Veranstaltung kennengelernt. Wir haben uns mehrere Stunden sehr nett und gut unterhalten. Im Laufe des Gesprächs hatte ich auch mal themenbezogen erwähnt, dass ich schlecht sehe. Bei der Verabschiedung fragte die Person aus offenkundig echtem Interesse dann:
„Sag mal, wie viel siehst du denn eigentlich?“ – „Also, laut Ausweis bin ich blind, habe aber noch einen Sehrest.“ Die Reaktion der Person: „Ach, krass, echt? Merkt man gar nicht!“
Meine Reaktion, völlig albern – und im Nachhinein habe ich mich dann auch echt über mich selbst geärgert: „Danke.“ Ich habe mich aber eigentlich im selben Moment schon gefragt: „Ey, und wenn man es merkt, was dann? Was wäre schlimm daran?“
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Wie gesagt, die Person war mega nett und meinte das sicherlich auch nicht negativ. Es ist für mich aber wieder ein Beispiel dafür, wie wir mit Inklusion umgehen und wie Menschen ohne Beeinträchtigung Personen mit einer solchen wahrnehmen. Eigentlich sollte es doch völlig egal sein, ob Beeinträchtigungen wahrnehmbar sind oder nicht. Ändern kann man es sowieso nicht.
Mich erinnerte diese Begegnung an den Beginn meines Studiums. Zunächst habe ich dort in Vorlesungen oder in den Pausen auf dem Campus nie meinen Blindenstock benutzt oder einen Blinden-Button getragen. Auch durch Bonn, wo ich studiert habe, bin ich wenn möglich ohne Kennzeichen gelaufen. Das war für mich mega anstrengend von der Konzentration, aber: ich war unauffällig, eine von vielen, wurde nicht angestarrt.
Irgendwann habe ich mir aber dann gedacht: Warum machst du dir eigentlich so einen Stress? Was ist dein Problem? Du verleugnest gerade einen Teil der Identität und machst dir selber das Leben schwer. Und wofür? Um nicht aufzufallen. Eigentlich totaler Schwachsinn. Komm aus deiner Komfortzone und zeig, wer du bist!
Mit Sichtbarkeit Verständnis schaffen
Ich weiß, das ist ein Prozess, ich musste das auch lernen. Aber: Ich denke, das ist ein wichtiger Baustein, um Inklusion voranzutreiben. Indem ich als betroffene Person mich sichtbar mache. Und ebenso wichtig ist, dass gesellschaftlich die Räume geschaffen werden, dass sich Menschen mit Beeinträchtigung barriere- und angstfrei bewegen können. Denn Begegnungen schaffen Normalität und Verständnis für das Gegenüber.
Sätze wie „Merkt man gar nicht“, „Ich finde toll, wie du dein Leben meisterst“, „Du hast einen normalen Job, find ich beeindruckend!“ mögen noch so nett und mitfühlend gemeint sein, bringen mich als Person aber nicht weiter. Weiter bringt uns als Gesellschaft, wenn Menschen mit Beeinträchtigung in allen Bereichen der Gesellschaft gleichwertig vorkommen – ob als Teil eines Liebespaars im Kono, ohne dass dabei die Beeinträchtigung im Vordergrund steht, als Standesbeamt:in, lehrende Person, Tagesschau-Host…“Ich hatte letztens ein Gespräch mit einer Frau, die war blind, das war total interessant!“ Frage: Wäre ich auch interessant für dich gewesen, wenn ich nicht blind wäre?
Mit welchen Fragen und Vorurteilen sich blinde Menschen noch rumschlagen müssen, lesen Sie in diesem Blogbeitrag (gekürzte URL): https://is.gd/FZrsZz