Hallo liebe Leserschaft,

das blinde Huhn meldet sich zurück. Die Zeit rast und schon ist Anfang Dezember. Für mich stellt die dunkle Jahreszeit eine besondere Herausforderung dar, über die ich gerne mit euch in den Austausch gehen möchte.
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Um es gleich zu sagen: Ich bin kein Herbst- und Wintertyp. Zum einen ist es mir zu kalt. Das viel größere Problem ist allerdings, dass es so schnell dunkel wird. Denn dann fehlen mir die Kontraste, mit denen ich mich tagsüber eigentlich noch ganz gut zusätzlich zum Blindenstock orientieren kann. Hindernisse sind so für mich nicht mehr zu sehen. Die Verletzungsgefahr steigt. Denn nicht nur herabgefallene Blätter oder vereiste Flächen machen mir dann zu schaffen. Auch unachtsam abgestellte E-Scooter, Räder oder Kinderwagen werden zur Gefahrenquelle. Von Weihnachtsmärkten ganz zu schweigen, die ich ohne Begleitperson gar niht betrete. Denn die vielen Menschen, Hindernisse und grellblendenden Lichter erschweren mir die Orientierung. Nicht falsch verstehen, ich liebe Weihnachtsmärkte. Aber diesen - auch mit Begleitperson einmal zu umrunden ist echter Hochleistungssport für mich.

Akustische Orientierung ist extrem schwierig

Neben solchen Barrieren verändert sich im Herbst/Winter auch die Akustik in der Stadt. Die auf dem Boden liegenden Blätter machen es mir mit dem Blindenstock extrem schwer, Unebenheiten zu ertasten; zudem schlucken sie auch den Schall, sodass ich Abstände zu Wänden, herannahenden Autos oder Bahnen nicht mehr einschätzen kann. Gleiches gilt für die überall erklingende Weihnachtsmusik, Regen oder Schnee (achtet mal darauf, die Stadt klingt sofort anders) oder Menschen, die mit Video-Telefonie durch die Gegend laufen. All das führt dazu, dass mir die Orientierung mittlerweile extrem schwer fällt. Ich überlege mir dreimal, ob und wann ich in die Innenstadt fahre, einkaufen gehe - oder ob ich mir nicht doch wieder Waren liefern lassen soll.

Und was hat das jetzt mit Inklusion zu tun?

Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Und ich muss sagen: ich habe es gehasst. Meine Eltern mussten mich überall hinfahren (haben sie auch gerne gemacht, und ich bin ihnen sehr dankbar). Spontane Verabredungen waren so aber eigentlich nicht möglich, später nach Hause kommen schonmal gar nicht und vieles wäre wahrscheinlich anders gelaufen, wenn die Infrastruktur damals besser und ich mit meiner Beeinträchtigung schon so selbstsicher umgegangen wäre wie heute. Deshalb war der Schritt, nach dem Studium nach Köln zu ziehen, für mich damals eine echte Befreiung.

Warum ich kein Stadt-Fan mehr bin

Heute ist es umgekehrt. Mittlerweile, so sehr ich Köln mag, denke ich darüber nach, in eine Kleinstadt zu ziehen.
Der Grund: Die Stadt ist zu schnell für mich geworden, und die Menschen größtenteils zu unachtsam. Wie oft denke ich mir: Ich wäre froh, wenn ich normal gucken könnte und die, die es können, machen sich quasi „blind“ und „gehörlos“ für ihre Umwelt, weil sie nur noch auf ihr Smartphone schauen und dabei Headsets tragen.

Einen Augenblick bitte!

Gut, jetzt könnte man ironisch sagen, das ist umgekehrte Inklusion, weil sich meine Mitmenschen nun freiwillig in unsere Lage begeben 😊. Aber wirklich einen Nutzen hat niemand davon.

Deshalb möchte ich diesen Newsletter als – haha – Augenöffner nutzen. Mit etwas mehr Achtsamkeit wäre uns allen geholfen – und wir könnten alle gemeinsam gut und sicher durch die dunkle Jahreszeit kommen – und vielleicht sogar bei einem Glühwein oder Punsch anstoßen. Prost!

Mehr zum Thema:

Wer mehr über Barrieren im Alltag wissen will, der kann auf meiner Homepage weitere Artikel rund um das Leben in der Stadt finden. Viel Spaß beim Lesen – und Hören!
Eine kleine Hausaufgabe:

Überlegt euch doch mal Strategien und Lösungen, wie man den Alltag in der Stadt für alle barriereärmer gestalten können. Es muss nicht immer der große Rundumschlag sein, oft sind es schon Kleinigkeiten, die helfen.

Schreibt mir gerne an kontakt@vonderburg.info oder per PN auf Insta.

Bis zum nächsten Mal!
das blinde Huhn aka Saskia


Saskia von der Burg
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Blog

Selbsterfahrungstraining: Ein Augenöffner für mehr Inklusion

„Was ist eigentlich Inklusion in der Praxis?“: Unter diesem Motto stand eine Wissenswerkstatt, die ich gemeinsam mit dem #Diversity Management am 10. Oktober beim #Deutschlandfunk veranstaltet habe. Das Ziel: Einblicke in meine Lebens- und Arbeitswelt als gesetzlich blinde Person zu ermöglichen und aufzuzeigen, was in Sachen Inklusion und #Barrierefreiheit am Kölner Standort und besser laufen könnte. Mit praktischem Beispiel „vorangehen“ …
Zu sehen ist ein Mensch in einem Raum, der mit einem Blindenstock durch den Raum geht, um sich zu orientieren.
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